Mein Tag als Demobeobachter bei Göppingen Läuft nicht

Es ist der 06.10.2012. Die Uhrzeit: 09.30. Ich befinde mich in Göppingen. Mein Auftrag: Beobachtung der Aktivitäten der Anti-Nazi-Proteste und die Protokollierung der auftretenden Einschränkungen des Versammlungsrechts.

Am Anfang des Tages weiß ich noch nicht so genau was mich erwartet. Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Mein erstes Ziel ist der Bahnhof. Dort sollen sowohl die Nazis als auch die Antifaschisten ankommen. Je näher ich dem Bahnhof komme, umso stiller wird es. Ich höre nur noch das „FLAPP FLAPP FLAPP“ des Polizeihelikopters. Ein Geräusch welches mich im Übrigen den ganzen Tag über begleiten wird. Das Gelände rund um den Bahnhof ist hermetisch abgeriegelt. Überall Absperrzäune und Polizisten in Kampfmontur. Mit einem Pressevertreter gelange ich direkt auf den Bahnhofsvorplatz, der Kommandozentrale der Polizei. Hier erfahre ich das 2.500 Polizeibeamte im Einsatz sind und das Rote Kreuz auf einen Massenanfall von Verletzten (MANV) vorbereitet ist. Auch die Feuerwehr wird heute evakuiert und ist an einem anderen Standort untergebracht. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich die Polizei eher auf einen Kampfeinsatz vorbereitet, anstatt deeskalierend wirken zu wollen.

Nach diesen Informationen gehe ich zunächst zu den Kundgebungen des Bündnisses Kreis Göppingen Nazifrei (KGN), welche nicht in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes stattfinden, sondern im Zentrum von Göppingen verortet sind. Um Göppingen jetzt nicht größer zu machen als es ist, das Stadtzentrum ist vom Bahnhof nur 5 Minuten entfernt, bei der überdimensionalen Polizeipräsenz und den vielen Absperrungen aber eben nicht in unmittelbarer Nähe. Bei der Kundgebung angekommen, treffe ich mich mit weiteren Demobeobachtern und Pressevertretern. Wir bereden kurz wie wir uns aufteilen, um dann wieder zurück zum Bahnhof zu gehen. Am Bahnhof angekommen geht es nicht mehr weiter. Ohne „Verbindungsoffizier“ der Polizei dürfen sich die Pressevertreter und Demobeobachter nicht frei bewegen. Die Pressefreiheit hat hier eine nicht so hohe Priorität wie die Einsatztaktik der Polizei, so scheint es. Wir werden regelrecht hingehalten bis sich das Presseteam der Polizei endlich zu uns bewegt.

Mittlerweile ist es kurz vor 11 Uhr. Irgendetwas passiert gleich. Noch ist unklar was, aber dass etwas passiert ist offensichtlich. Einsatztrupps laufen auf, die Hundestaffeln machen sich fertig und auch die Reiterstaffeln setzen ihre Einsatzhelme auf und justieren ihre Knüppel nach. Im Bahnhofsgebäude wird es merklich lauter. Der erste Zug mit antifaschistischen Gegendemonstranten ist angekommen. Sofort werden die Antifaschisten eingekesselt. Laut Augenzeugenberichten werden zu diesem Zeitpunkt auch bereits Pfeffersprays und Schlagstöcke eingesetzt. Ein Antifaschist wird dabei am Kopf verletzt. Demosanitäter und andere Ersthelfer werden mit der Begründung „jeder Polizist sei schließlich Ersthelfer“ nicht zu dem Verletzten durchgelassen. Wie die medizinische Erstversorgung stattfindet, ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Auf erste Nachfragen warum hier Menschen eingekesselt werden, kann mir anfangs kein Polizist eine Antwort geben. Mit einem „Die haben sich nicht benommen“ gebe ich mich nicht zufrieden. Weder vom Presseteam noch vom Anti-Konflikt-Team der Polizei bekomme ich zunächst eine qualifizierte Aussage.

Nach ungefähr einer halben Stunde so gegen 11:40 Uhr bekomme ich dann die Aussage, dass es Angriffe auf Polizeibeamte gegeben haben soll. Unweit des Kessels baut die Polizei jetzt mehrere Kameras auf. Es werden willkürlich Menschen aus dem Kessel geleitet, gefilmt und peinlich durchsucht. Teilweise müssen sich Menschen bis auf die Unterwäsche ausziehen. Das Ganze geschieht im Freien und ist für die eingekesselten Menschen sichtbar. Eine solch würdelose Durchsuchung habe ich selten erlebt. Nach und nach werden jetzt auch Pressevertreter und Demobeobachter der Szenerie verwiesen, teils unter Androhung von Festnahme teils ohne. Aus diesem Grund kann ich auch nicht sagen, wie lange der Kessel noch aufrechterhalten wird und wie viele Menschen gefilmt und durchsucht werden.

Szenenwechsel

Es ist 12:50 Uhr. Ich befinde mich auf dem Bahnhofsübergang zu dem jetzt alle Pressevertreter geleitet werden. Von diesem Übergang gibt es gewundene Abgänge zu den jeweiligen Gleisen. Nach kurzer Zeit dürfen wir auf den Abgang von Gleis 1, der sich in unmittelbarer Nähe des Sammelplatzes der Nazis befindet. Von dort aus werden die ankommenden Faschos fotografiert und gefilmt. Ich bleibe jedoch auf dem Übergang. Denn nicht nur die Presse fotografiert runter, sondern die Faschos auch hoch. Ich hab kein Interesse daran, dass Porträtfotos von mir anfertigt werden.

Auch die Nazis werden durchsucht. Es gibt da jedoch einen kleinen aber feinen Unterschied. Im Gegensatz zu den Gegendemonstranten werden diese nicht auf freiem Gelände durchsucht, sondern die Polizei hat extra Zelte zum Sichtschutz aufgebaut. Insgesamt sind wir über eine Stunde an dem selben Platz und wieder beschleicht mich das Gefühl, dass die Polizei uns „ruhig stellen“ will und vom restlichen Geschehen regelrecht abschirmt.

Nach einer Stunde machen einige andere und ich uns schließlich eigenständig auf den Weg, nachdem uns „Gezwitscher“ über Schlagstockeinsätze erreicht. Nach wenigen Metern begleitet uns aber schon wieder der „Verbindungsoffizier“ vom Presse-Team der Polizei.

Wir befinden uns immer noch im abgesperrten Bereich der Polizei, genauer gesagt in der Schützenstraße Ecke Poststraße. Ein Teil von uns verfolgt mehrere Einsatzkräfte, die im Sprint über die Absperrungen hüpfen. Andere, darunter auch ich, bleiben jedoch erst mal hier, da wir an dieser Kreuzung einen guten Überblick in alle Richtungen haben. An das „Flapp Flapp Flapp“ habe ich mich immer noch nicht gewöhnt.

Es ist mittlerweile 14 Uhr und es verdichten sich die Hinweise, dass der antifaschistische Protest sich gesammelt hat und nun versucht, die Demonstrationstrecke der Faschos zu erreichen, um diese zu blockieren. Laut Aussage der Polizei haben sich „100 bis 120 Nazis versammelt“. Ihnen stehen 2.000 GegendemonstrantInnen gegenüber. Immer häufiger sind jetzt Truppenbewegungen der Polizei zu verzeichnen.

Um 14:28 Uhr versuchen die GegendemonstrantInnen schließlich auch an meinem Beobachtungsplatz, die Demostrecke zu erreichen. Um sich zu motivieren zählen sie von 10 auf 0 runter, dann rennen sie los. Einen Meter vor der Absperrung werden sie flächendeckend von Pfefferspray eingenebelt und danach mit Schlagstöcken angegangen. Aus den Flanken rennen mehrere BFE-Einheiten auf die AntifaschistInnen zu und versuchen willkürlich, diese heraus zu greifen. Dies ist der Zeitpunkt, an dem ich mich entschließe, die Absperrungen zu verlassen und den antifaschistischen Protest zu begleiten, um das aggressive Vorgehen der Polizei besser dokumentieren zu können. Die beiden Fotografen der „Beobachter News“ sind der gleichen Ansicht und folgen mir.

Vermehrt werden jetzt AntifaschistInnen in Gewahrsam genommen. Die Hand an der Pfeffersprayflasche sitzt bei der Polizei extrem locker und wird nur dann nicht benutzt, wenn in der Hand bereits eine Kamera oder ein Schlagstock liegt. Der Anblick von auf dem Boden liegenden AntifaschistInnen, die von Polizisten unter Gewaltanwendung auf den Boden gerissen werden und unter Schmerzen mit Kabelbindern verschnürt abgeführt werden, ist im Moment keine Seltenheit.

Parallel dazu beginnen die Nazis ihren Aufmarsch. Gegen 16:20 Uhr formiert sich erneut der antifaschistische Protest zu einer Spontandemo Richtung Bahnhof, nachdem bekannt geworden ist, dass sich die Nazikundgebung aufgelöst hat und sich die Faschos ihrerseits auch in Richtung Bahnhof begeben.

Nachdem die antifaschistische Spontandemo an den Absperrungen am Bahnhof angekommen ist, spitzt sich die Lage erneut zu. Die Polizei versprüht wieder Pfefferspray und setzt gezielte Schlagstockschläge als Provokation ein. Als Reaktion werden jetzt einzelne Farbbeutel und Eier geworfen. Auch Rauchbomben werden geworfen. Die Stimmung ist stark aufgeheizt. Immer weitere Einheiten der Polizei treffen jetzt ein. Ihr Verhalten gegenüber den Vertretern der Presse und den Demobeobachtern wird jetzt immer rabiater. Von einem Pressevertreter wird sogar das Löschen von Bildmaterial bzw. das Herausgeben der Kamera verlangt. Kurze Zeit später beruhigt sich die Situation wieder.

Es ist jetzt 17:40 Uhr. Der Bahnhof ist wieder für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Die Demobeobachter stellen ihre Beobachtungen ein.

Die Bilanz des Tages:

– circa 110 GegendemonstrantInnen wurden in Gewahrsam genommen.
– über 100 Verletzte, die meisten davon leiden an den Folgen des Pfeffersprays
– massive Einschränkungen in die Versammlungsfreiheit durch die Bildung von Polizeikesseln
– erhebliche Einschränkungen und Beeinträchtigungen der Pressearbeit

Ich für mich kann sagen, dass es eine interessante Erfahrung war, den Tag als Beobachter zu erleben, weiß aber schon jetzt:

Das nächste Mal wieder als Teilnehmer!!
Sometimes mimimi – Always antifascist!

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